Minimalismus und radikale Essenzialität - Zum Tod des amerikanischen Lyrikers Robert Creeley

5 April 2005
Neue Zürcher Zeitung
German
Besuchen Sie die Website der führenden Schweizer Internationalen Tageszeitung unter http://www.nzz.ch

(Nachruf-Creeley)

Robert Creeley, einer der wichtigsten und einflussreichsten Lyriker der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts, ist, wie bereits kurz gemeldet, am 30.März kurz vor seinem 79.Geburtstag an einer Lungenentzündung in Marfa (Texas) gestorben. Wie ein letztes Statement zu seiner Lyrik mutet es an, dass Creeley gerade hier starb, dem Ort, den der amerikanische Maler Donald Judd zu einem international angesehenen Zentrum der Kunst und Architektur entwickelte, einem Ort, dessen Entlegenheit und landschaftliche Reizarmut (Marfa war der Drehort des Filmes «Giganten» mit James Dean und Elizabeth Taylor) Creeleys Sprache in ihrem Minimalismus und in ihrer auf eine radikale Essenzialität zurechtgeschnittenen Prägnanz unterstreicht.

Aus dem Augenblick heraus

Die Reduktion der poetischen Sprache auf das absolut Wesentliche und Notwendige der Wahrnehmung war immer Creeleys Anliegen: Insofern lehnte er «das Literarische» seiner modernistischen Vorgänger - etwa T.S. Eliot - mit ihren gewollten Intertextualitäten, ihrem Bewusstsein um Gestaltung, der Schwierigkeit ihrer Sprache ab und versuchte eine direkt der Wirklichkeit der Dinge zugewandte Sprache zu schreiben. So laufen seine Zeilen nie über den Rand hinaus, sind geradezu ein Gegenpol zu den üppigen Wucherungen des freien Verses bei Walt Whitman, dem Übervater der amerikanischen Lyrik, oder auch zu seinen Zeitgenossen - etwa Alan Ginsberg. Creeleys Credo, «You can write directly from that which you feel», zeigt seinen Versuch, der unmittelbaren Perzeption nahezukommen, aus dem Augenblick heraus die Poetisierung zu erreichen. Sprachliche Reduktion heisst allerdings nicht, auf Wirkung zu verzichten - ganz im Gegenteil: Sein Feilen am Ausdruck, der Wille zur grösstmöglichen sprachlichen Verdichtung, der Wille, Sprache zu befreien vom Ballast der Strukturwörter und der grammatischen Stützen, bringt eine grossartige Deckung zwischen dem Gesagten und seiner Form hervor.

In der Form «projektiv», also offen, «an die Leere gerichtet» - gemäss Charles Olsons berühmtem Poetiktext «Projective Verse» (1950) -, in Rhythmen, die aus sich selbst erwachsen («The rhythm which projects / from itself continuity»), spricht Creeley nicht reflektierend über den Augenblick, sondern aus und in dem Augenblick. Insofern sind die Gedichte nicht Reflexionen der Wirklichkeit und vielleicht nicht direkte Spuren, doch zumindest ein «Echo des Lebens», wie Creeley es ausdrückt. Das Bild des Echos wird ihm besonders in seinen späteren Gedichten immer wichtiger, so auch das Licht als das Echo der Sterne: «Was konnten Sterne andres sein als etwas, das es nicht mehr gab, / Echos von Licht, zu spät, als dass sie uns gälten. / Aber da, da waren sie, und da sahen wir sie.»

Die Wahrnehmung des Augenblicks und die gleichzeitige Versprachlichung aus dem Augenblick heraus werden deutlich in den Gedichten des Sehens, die nicht umsonst unter dem Sammelbegriff «Windows» (1990) zusammengefasst sind:

Breite Bucht

Das Wasser ein Flimmern,die Ufer grüner Rand,der Baumbestand im Schatten,das Sonnenlicht fällt schräg,die Möwen landen weissden fernen Fluss entlang.Alles in einem Echo von Wind,wieder ZeitSinn von fern.


(Fenster. Neue Gedichte)

1926 als Sohn eines Arztes geboren, lebt er ein Leben der Rastlosigkeit und ringt mit der Wirklichkeit: Als Kind verliert er bei einem Unfall ein Auge, sein Vater stirbt, als Creeley vier Jahre alt ist, später kommt seine achtjährige Tochter bei einem Autounfall ums Leben, zwei seiner drei Ehen werden geschieden, er verlässt seine Universität Harvard nach einem Jahr, um in Indien und Burma für den American Field Service zu arbeiten, dann lebt er auf Mallorca - sein einziger Roman, «The Island», ist die Geschichte seiner gescheiterten Beziehung zu seiner ersten Frau.

Stilbildend

Die restliche Biografie Creeleys liest sich wie eine Geschichte der amerikanischen Lyrik in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts, nein, sie ist diese Literaturgeschichte: Noch auf Mallorca ediert und publiziert er in seinem eigenen Verlag die «Black Mountain Review», eines der einflussreichsten Magazine der amerikanischen Literaturgeschichte. In den fünfziger Jahren holt ihn Olson dann an das Black Mountain College, an dem schon die Maler Franz Kline und William de Kooning, der Komponist John Cage und die Lyrikerin Denise Levertov mit ihren Kollegen Charles Olson und Robert Duncan arbeiten. Danach lebt er in San Francisco, wo er mit den «Beat Poets» Alan Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti und Jack Kerouac zusammentrifft. Mit seinem Band «For Love: Poems 1950-1960» wird er zu Amerikas führendem Dichter. Am Ende seines Lebens umfasst sein Werk fast 70 Bände Lyrik, Prosatexte, Reden und Rezensionen. Zu seinen zahlreichen Ehrungen zählt der noch 1999 an ihn verliehene Bollingen-Preis. Im deutschen Sprachraum sind seine Werke beim Residenz-Verlag erschienen. Die Lyrik wurde von Klaus Reichert gefühlvoll ins Deutsche übertragen, wobei man die Lyrikbände zweisprachig angelegt hat, so dass ein Sprachvergleich jederzeit möglich ist. Mit Robert Creeley ist einer der letzten grossen, stilbildenden Lyriker des 20.Jahrhunderts gestorben.

Bruno von Lutz